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SPIEGEL – Der Mensch im Widerschein

Die Verarbeitung von Glas zu Spiegeln setzte in Europa, nach ersten Versuchen in römischer Zeit, ab dem 13. Jahrhundert ein. Sie wurden in glasverarbeitenden Werkstätten in Mitteleuropa und Italien produziert. Die den europäischen und auch den weltweiten Markt beherrschenden Glasspiegel von Murano/Venedig und die in den Werkstätten von Saint-Gobain für den französischen Königshof von Versailles produzierten Spiegel bilden den Höhepunkt europäischer Spiegelproduktion des 16. bis 18. Jahrhunderts. Die Herstellung dieser mit Zinn und Quecksilber hinterlegten Spiegel führte bei den Spiegelmachern, die den giftigen Dünsten ausgesetzt waren, meist zu einem frühen Tod. Eine vom deutschen Chemiker Justus Liebig entdeckte Technologie einer giftfreien Beschichtung von Glas, führte ab den 1860er-Jahren zum Siegeszug der mit Silber und heute vor allem mit Aluminium beschichteten Glasspiegel.

Das Finale des Parcours durch die Geschichte der Spiegel bilden Arbeiten von Fernand Léger, Roy Lichtenstein, Monir Farmanfarmaian, Anish Kapoor und Gerhard Richter. Sie alle vereint der Titel Spiegel und sie zeigen exemplarisch die ungebrochene Beliebtheit des Spiegels als Motiv und als Werkstoff in der modernen und zeitgenössischen Kunst.

Symbol der Tugend und der Sünde – Weisheit und Eitelkeit

Die «Weisheit» galt schon im alten Griechenland als eine der Kardinaltugenden. Im Christentum fand sie unter den lateinischen Bezeichnungen «Sapientia» (Weisheit) und «Prudentia» (Klugheit) Eingang in den Kanon der «Sieben Tugenden». In der europäischen Kunst des Mittelalters und der Neuzeit wurden Personifikationen der «Weisheit» oftmals mit einem Handspiegel dargestellt. Denn weise ist, wer sich selbst erkennt und mit kluger Voraussicht den Weg in die Zukunft bedenkt. Das Attribut eines Spiegels kann aber auch auf eine der «Sieben Todsünden», die «Superbia», hinweisen. Denn hochmütig, stolz und eitel ist, wer sich oft selbstverliebt im Spiegel anschaut, weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft denkt und selbstvergessen dahinlebt.

Magie, Schutz und Abwehr

Der Spiegel, der seltsamerweise die Seiten verkehrt, der zerbrechlich ist, detailgetreu reflektiert, aber auch dunkel und geheimnisvoll sein kann, hat die Menschen dazu inspiriert, im Spiegel nicht nur einen harmlosen Reflektor, sondern auch ein wirkungsmächtiges Medium zu sehen, das in das Leben der Menschen eingreift, das ihn berät oder etwas verrät, ihn beschützt, aber auch bedrohen kann. Nichts mag diese magische Seite des Spiegels besser zu illustrieren als ein Blick in die Filmgeschichte. In zahlreichen Genres, d.h. in Fantasy-, Horror- und Vampirfilmen kommen Spiegel zum Einsatz, die die Zukunft oder die Vergangenheit offenbaren, hinter denen der Tod lauert und die Unsichtbares sichtbar und Sichtbares unsichtbar machen.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass Spiegel in der Kunst des Surrealismus, wie dies die Beispiele von Salvador Dalí und Paul Delvaux zeigen, eingesetzt wurden, um Abgründiges, Unverständliches und Verborgenes anzudeuten. Die Schutzfunktion zeigt sich im weltweit ältesten, aus dem 18. Jahrhundert stammende Gewand eines Schamanen aus Sibirien, das mit Messingspiegeln behängt ist, wie auch die mit Spiegeln ausgerüsteten Kraftfiguren aus dem Kongo schliesslich zeigen auf, dass diese «Reflektoren» feindliche Kräfte abwehren und so ihre Träger beschützen können.

Halte deinen Spiegel sauber!

In nahezu allen grossen Religionen, wie dem Hinduismus, Buddhismus, Islam und dem Christentum, finden sich Texte, in denen Spiegel beschrieben werden. Spiegel gelten oft als Metapher für die Seele: Sie muss rein und immer blank geputzt sein, kein Staub darf sich auf sie legen. Ist die Seele ein Spiegel, so kann sich Gott in ihr spiegeln und wirksam werden. Spiegel können, wie in einem Lokalkult im indischen Kerala, gar eine Gottheit verkörpern.

Voyeuristischer Blick in die private Welt von Frauen

Das Thema «Schönheit und Verführung» illustrieren Bilder, Drucke und Fotografien aus Indien und Japan sowie europäische Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts. Es sind dies allesamt Darstellungen von Frauen, die sich schminken, schmücken, baden, auf ihren Geliebten warten und sich dabei im Spiegel betrachten oder von Männern beobachtet werden. Auch wenn bei den europäischen Werken vordergründig beabsichtigt war, die Frauen mit den Spiegeln in einen moralisierenden Kontext zu setzen – sie mussten die Sünde der Eitelkeit, «Vanitas», visualisieren – ist klar, mit welcher Absicht sie geschaffen wurden. Es sind alles von männlichen Künstlern und Fotografen arrangierte Inszenierungen von Frauen, gemacht für die Augen männlicher Betrachter. Die Frauen sind meist leicht gekleidet oder entblösst dargestellt. Die Werke gewähren Einblick in die Frauengemächer – Orte, zu denen Männer normalerweise der Zutritt verwehrt war. Bei manchen Darstellungen sehen wir das Antlitz der dargestellten Frau im Spiegel reflektiert: Sie, die wir zu beobachten glauben, blickt uns an und lässt uns bewusst am Geschehen teilhaben.

Durch den Spiegel in eine Parallelwelt: Through the Looking Glass

Mit der Geschichte von Alice, die in ein Wunderland auf der anderen Seite des Spiegels gelangt, mit einem Hauptwerk von Michelangelo Pistoletto sowie mit einem Filmausschnitt aus Jean Cocteaus Orphée, bei dem – in einer der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte – der französische Schauspieler Jean Marais als Orpheus durch einen Spiegel in die Unterwelt eintritt, endet die Ausstellung.

Spiegel im Park – Spiegelpark






  • 17.05.2019 - 22.09.2019
    Ausstellung »
    Museum Rietberg »

    Feiertage geöffnet:
    1. August 10−20h
    25. Dez. 10−17h (öffentliche Führung findet nicht statt)
    26. Dez. 10−20h
    1. Jan. 10−17h
    2. Jan. 10−20h

    geschlossen:
    24. und 31. Dez.

    Zusätzlich offen Ostermontag und Pfingstmontag, 10−17h Eintrittspreise Sonderausstellungen CHF 18 / 14 (reduziert)

    Sammlung: CHF 14 / 12 (reduziert)



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  • Freizeit eines arbeitenden Mädchens, Berlin 1933 Marianne Breslauer (1909-2001), 1933/34 Silbergelatine Abzug, 17,0 x 23,5 cm Fotostiftung Schweiz, Inv-Nr. GoeV.1999.01 © Marianne Breslauer / Fotostiftung Schweiz
    Freizeit eines arbeitenden Mädchens, Berlin 1933 Marianne Breslauer (1909-2001), 1933/34 Silbergelatine Abzug, 17,0 x 23,5 cm Fotostiftung Schweiz, Inv-Nr. GoeV.1999.01 © Marianne Breslauer / Fotostiftung Schweiz
    Museum Rietberg
  • Visual of the exhibition poster © Photography Dan Cermak / Museum Rietberg
    Visual of the exhibition poster © Photography Dan Cermak / Museum Rietberg
    Museum Rietberg
  • Girl in her spare time, Berlin 1933 Marianne Breslauer (1909–2001), 1933/34  Silver gelatine print, 17,0 x 23,5 cm Fotostiftung Schweiz, Inv-Nr. GoeV.1999.01 © Marianne Breslauer / Fotostiftung Schweiz
    Girl in her spare time, Berlin 1933 Marianne Breslauer (1909–2001), 1933/34 Silver gelatine print, 17,0 x 23,5 cm Fotostiftung Schweiz, Inv-Nr. GoeV.1999.01 © Marianne Breslauer / Fotostiftung Schweiz
    Museum Rietberg