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Ludwig Richter Schöne heile Welt

Generationen wuchsen mit den Bildern Ludwig Richters auf, blätterten durch die beliebten Richter-Alben und sahen die deutschen Märchen und Sagen mit seinen Augen. Richter galt bereits zu Lebzeiten als Legende. Im Laufe der letzten Jahrzehnte verlor er jedoch wahrnehmbar an Bekanntheit. Vom personifizierten deutschen Kulturgut wurde er zu einem Künstler, mit dem heute außerhalb der Museen fast nur noch die ältere Generation etwas anzufangen weiß. Auf den ersten Blick scheinen Richters Persönlichkeit und Werk in Vielem konträr zu heute vorherrschenden Ansichten über Kunst und Künstler: seine stillen Winkel idealen Glücks, seine Bilder, die Wohlgefühl und Schönheit vermitteln möchten, die ein religiöses Weltbild vertreten, dazu das Niedliche, Kleinbürgerliche und Liebenswerte.

Andererseits entdeckt man bei Ludwig Richter auch aktuell Schätzenswertes. Hierzu zählt seine authentische Wirkung, die fast perfekte Einheit aus Persönlichkeit, Überzeugungen und Werk. Richter arbeitete in seinen Lebenserinnerungen gezielt an seinem „Image“. Es gelang ihm, einen unverkennbaren Stil zu entwickeln. Er machte es sich zudem zur Aufgabe, zum Nachdenken und moralischen Handeln anzuregen und er schaffte es nicht zuletzt, schon zu Lebzeiten zum lebenden Nationaldenkmal zu werden.

Wer sich aber heute ernsthaft auf Ludwig Richter einlässt, der wird herausgefordert und stößt immer wieder auf Dilemma-Momente: Bewertet man Richter als Maler oder Grafiker? War er ein kommerzialisierter Künstler? Was macht man heute mit seiner Frömmigkeit, mit den deutschen Werten und Tugenden, die er vertritt und die immer wieder nationalistisch instrumentalisiert wurden? Wie bewertet man seine Auffassung von Kunst im Vergleich mit den Avantgarden seiner Zeit? All das macht eine Beschäftigung mit Ludwig Richter überaus spannend.

Zugleich bietet er viele Anknüpfungspunkte an aktuelle Themen, z. B. wenn er an seinen Sohn schreibt: „Zeitverhältnisse, die mit Ekel u. Sorge erfüllen […] Geld, Wucher, Spekulationen der wildesten Art […] wohin soll das alles führen“? Richter (1803-1884) erlebte in den über 80 Jahren seines Lebens Kriege, Zerstörungen, Unruhen, Aufstände und den Lebenswandel im Zuge der Industrialisierung. Der Großteil seiner Werke zeigt jedoch Idyllen, Märchen, eine Welt der Familie, der guten Nachbarschaft, des gemeinschaftlichen dörflichen und kleinstädtischen Lebens, ein Leben in Harmonie mit der Natur und den Tieren – eine schöne heile Welt. Das Spannungsfeld zwischen Realität und Idealität ist für Richters Œuvre ein zentrales Thema.

Umso erstaunlicher ist, dass ihn ausgerechnet die Generation „Neo-Biedermeier“ kaum mehr kennt, die vor dem Hintergrund aktueller Ängste und Bedrohungen Traditionen und Heimatbegriff neu belebt, die in Schlagern, Handarbeit oder dem Eigenheim mit Hund moderne idyllische Sehnsuchts- und Rückzugsorte sucht. Was Ludwig Richter im Bereich der Malerei, der Zeichnung und Illustration im 19. Jahrhundert als Gegenwelten zu den Krisen seiner Zeit verwirklichte, zeigt sich heute in abgewandelter Form in vielen anderen Bereichen des Lebens, in Unterhaltung, Werbung und Freizeitkultur. Man muss konstatieren: Die Sehnsucht nach einer heilen Welt ist nicht unmodern.

Richters Kunstauffassung wurzelte in der Romantik, in seinem Glauben und in Tugenden wie Anstand und Bescheidenheit. Schon 1825 kritisierte er, dass Kunst vielfach nur angenehmes Reiz- und Aufmunterungsmittel für langweilige Stunden sei, grell oder seicht, schwach und flach. Weiter heißt es: „Meines Erachtens soll die Kunst nur unsere schönsten, reinsten Stunden füllen, uns aus der farblosen Wirklichkeit in das bunte Reich der Phantasie versetzen, wo der trübe Flor von den Erscheinungen genommen ist, und das ganze Leben sich rein und groß zeigt, Vergangenheit, Zukunft und Gegenwärtiges umschließend. Sie soll den Staub und Schmutz, die Kruste, die sich sobald im Leben um Herz und Gemüth legt, abnehmen und uns mit einem freien, reinen und großen Blick entlassen.“

Man nannte Richter den zeichnenden Poeten, der das Anmutige, das Schöne und die harmonische Linie liebte. Seine Bilder sind oft von kindlicher Naivität geprägt, von hellen, leuchtenden Farben, von liebevoll ausgeführten Details, Phantasie und einer auf den ersten Blick verständlichen Bildsprache. Darüber gerät manchmal in Vergessenheit, dass er auch ein fantastischer Zeichner und Bildkompositeur war, dass er feste Überzeugungen hatte, die er vermitteln wollte und hierfür auf ein breit gefächertes, vor allem literarisches Wissen zurückgriff.

Die Ausstellung basiert auf dem reichen Richter-Bestand in Schweinfurt im Museum Georg Schäfer und im Museum Otto Schäfer. Hinzu kommen Leihgaben aus den bedeutenden Richter-Sammlungen in Dresden, Berlin, Leipzig und Essen. Mit insgesamt etwa 150 Exponaten (Gemälden, Zeichnungen, Druckgraphiken) möchte die Präsentation den Künstler Ludwig Richter nach längerer Zeit wieder einmal vorstellen und seine Bildwelt aus heutiger Sicht betrachten.

Sie stellt sein Leben vor: seine Anfänge als Ansichten-Zeichner in Dresden, seinen Italien-Aufenthalt, seinen Weg zum erfolgreichen Illustrator, der für diverse Verlage tätig war, der den Holzschnitt und Holzstich in Deutschland beförderte, der Maßstäbe in der Kinderliteratur setzte, der Biblisches, Märchen, Sagen und die Werke der namhaftesten Dichter mit Bildern versah.
Jeweils eigene Räume sind in der Ausstellung den Themen Idyll / Märchenwelt / Glaube, Liebe und Hoffnung gewidmet. Ihnen steht das Unidyllische gegenüber, das sein Werk durchaus auch beinhaltet. Auch, dass der Künstler schon zu Lebzeiten als lebendes Nationaldenkmal galt, soll Thema sein. Hierzu gehören die Richter-Verehrung bis ins 20. Jahrhundert sowie sein Einfluss auf z. B. Walt Disney, der Bildideen teilweise direkt übernahm.






  • 20.10.2019 - 19.01.2020
    Ausstellung »
    Museum Georg Schäfer »

    Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Hirmer Verlag (ca. 160 Seiten, ca. 33,50 €).

     

    Eintritt: 11 €, ermäßigt: 9 €.

     



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  • Ludwig Richter: Frau mit Kindern an der Quelle/Am Brunnen, 1868, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
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    Museum Georg Schäfer