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Jugendstil. Die große Utopie

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Der befreite Körper, dessen Kontur nicht mehr durch steife Mode und Korsett definiert wird, äußert sich in der Reform der Frauenmode mit edlen Roben von Mariano Fortuny oder der Erfolgsmarke Liberty. Die „Gesundung“ des „nervösen“ Stadtmenschen in der Natur wird ab etwa 1890 in europäischen Lebenskommunen geradezu kulthaft verfolgt. Hygienische und ästhetische Diskurse setzen auf eine Befreiung, Ertüchtigung und Pflege des Körpers als Tempel der Seele. Der Suche nach größtmöglicher Natürlichkeit steht die ästhetische Optimierung durch „Muskelschönheit“ gegenüber. Licht und Bewegung werden zu Leitbegriffen der Lebensreform, Sonnenlicht soll sogar über die Nahrung einverleibt werden, Nacktheit gilt als gesellschaftspolitische Emanzipation. Dem „Wurzelsessel“ des Schweizer Lebensreformers Karl Gräser steht in der Ausstellung ein elektrisches Lichtbad gegenüber, das mittels Glühbirnen auch dem Städter erlaubte, an der heilsamen Lichtmedizin teilzuhaben.

Andere Künstler interessieren sich jedoch gerade für die neuen Technologien der Industriegesellschaft und suchen hier Impulse für ihr Schaffen. Die Elektrifizierung des Alltags, insbesondere das neue Licht und der Film, werden wichtige Träger der Moderne. Die Lichtfee Loïe Fuller setzt mit ihrem Serpentinentanz neue Maßstäbe für das Erlebnis Tanz: Sie verwendet schleierartige Gewänder, auf die sie nach genauer Regie Licht projiziert. Für das Auge entsteht ein ständiger Wechsel abstrakter Formen und Farben. Zu Beginn des Medienzeitalters wird Fuller so zum Symbol des Flüchtigen und Momenthaften. Im Film wird alles möglich, proklamiert Georg Lukács. Die neue Technik entwickelt sich von der Jahrmarktsunterhaltung zur Dokumentations- und Kunstform. Bei den Brüdern Lumière oder George Méliès wird die Illusionsmaschine zum Träger utopischer Entwürfe.

Die spektakuläre Entdeckung der Röntgenstrahlung 1895 macht den Körper transparent und gibt dem menschlichen Innern ein Bild. Zeitgleich wird ein anderer Blick ins Innere geworfen: Sigmund Freud revolutioniert das Verständnis von der menschlichen Psyche. Das kulturelle Bild der Seele wird geprägt von Sprachfiguren der antiken Mythologie. So zeigt die Ausstellung antike Objekte aus Freuds eigener Sammlung neben Fernand Khnopffs „Hypnos“, Odilon Redons Gemälde „Die Barke“ und Annie Brigmans sowie Clarence Hudson Whites mythisch verklärten Heliogravüren. Deren gewählte Unschärfe wird zum stimmungsvollen Bedeutungsträger. Die Natur des Menschen zu ergründen bedeutet vor allem in Wien um 1900 die Ergründung der Sexualität. Das Spannungsfeld des Geschlechterkampfes wird zwischen Aktzeichnungen Gustav Klimts und Grafiken Edvard Munchs sowie ausgewählten Gemälden von Künstlerinnen wie Elena Luksch-Makowsky oder Broncia Koller-Pinell aufgespannt.

Die Frage nach dem Lebensglück bewirkt ein neuartiges Verhältnis zum Materiellen, das sich nicht nur auf Marx, sondern auch auf Friedrich Nietzsches betont diesseitige Weltanschauung stützt. Sein Kultbuch „Also sprach Zarathustra“ (1883-1885) wird sehr verehrt. Der Einsiedler Zarathustra, der den Menschen seine Lehre vom Übermenschen bringt, bietet Identifizierung gerade für reformerische Künstler. In seiner Kulturkritik proklamiert Nietzsche unter anderem den Tod Gottes. Max Klingers Nietzsche-Porträtbüste steht Werken gegenüber, die Nietzsches Schriften in eine visuelle Form überführen. So zeigt die Ausstellung Peter Behrens‘ zarathustrischen Salonflügel aus dem Haus Behrens auf der Darmstädter Mathildenhöhe ebenso wie Henry van de Veldes Buchkunst zu zentralen Schriften Nietzsches oder Hodlers „Blick ins Unendliche III“.

Die elegante Ästhetik des Jugendstil-Designs wird zunehmend zum Aushängeschild qualitativ hochwertiger Produkte. Bereits Morris‘ Werke sind als teure Liebhaberstücke einer wohlhabenden Käuferschicht vorbehalten. Hersteller moderner Konsumgüter und Theater reagieren auf die Wünsche des Marktes. So prägen die führenden Plakatkünstler der Affichomanie Frankreichs bis heute unseren Blick auf den Jugendstil. Die Ausstellung zeigt in einer eigens dem Plakat und der Reklame gewidmeten Galerie Spitzenwerke etwa von Eugène Grasset, Henri de Toulouse-Lautrec und Alfons Mucha. Ihre Arbeiten setzen auf Japonismen und orientalische Subtexte, hypnotische Blicke, sinnliche Frauen und Dandys. Ihnen gegenüber stehen die modernen Tendenzen aus München und Wien, die einer rationaleren Auffassung folgen. Dem Ausstellungsplakat ist mit einer Reihe von Salon des Cent-Plakaten besonderes Gewicht gegeben.

Neueinrichtung der Sammlung Jugendstil
Um 1900 stehen in den Kunstgewerbemuseen die Zeichen auf Neubeginn. Ein neues Konzept markiert den Umbruch vom Museum als Vorbildersammlung zum Sammlermuseum: statt historisch wird von nun an zeitgenössisch gesammelt. Einer der Vorreiter dieses innovativen Typs von Museumskuratoren ist Justus Brinckmann, der Gründungsdirektor des MKG. Unter der Vorgabe “eine Auswahl vom Besten unserer Zeit zu erstehen“, tätigt er auf der Pariser Weltausstellung 1900 umfangreiche Neuerwerbungen vom Möbel bis zum Bucheinband. Er legt damit den Grundstein für die heute so bedeutende Jugendstilsammlung des Hauses. Seine Einrichtung des sogenannten Pariser Saals beruht auf der Idee, beim Museumsbesucher den „Eindruck einer bewohnbaren Halle hervorzurufen, wie solche sich etwa ein Freund oder Sammler neuzeitiger Kunst einrichten möchte.“






  • 17.10.2015 - 28.02.2016
    Ausstellung »

    Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Do 10 – 21 Uhr
    Eintrittspreise: 10 € / 7 €, Do ab 17 Uhr 7 €, bis 17 Jahre frei

     

     

    Rahmenprogramm: Am Sonntag, den 5. Oktober 2014, führt Kuratorin Dr. Nora von Achenbach um 15 Uhr in dieAusstellung ein und erklärt anhand der ausgestellten Paravents, wie sich das Möbel nicht nur technisch, sondern auchkünstlerisch weiterentwickelte. 



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  • Abb.: Otto Eckmann (1865-1902), Entwurf für ein Titelblatt der Zeitschrift „Jugend“, Heft 14, 1. Jahrgang, 1896 © MKG
    Abb.: Otto Eckmann (1865-1902), Entwurf für ein Titelblatt der Zeitschrift „Jugend“, Heft 14, 1. Jahrgang, 1896 © MKG
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Karl Gräser (1849-1899), Sessel im Stil seiner Zimmereinrichtung auf dem Monte Verità, Museum Casa Anatta, Monte Verità, Ascona, um 1910, unbehandeltes Astwerk, Holzplatte, 84 x 66 x 60 cm, Foto: Elena Mastrandrea
    Karl Gräser (1849-1899), Sessel im Stil seiner Zimmereinrichtung auf dem Monte Verità, Museum Casa Anatta, Monte Verità, Ascona, um 1910, unbehandeltes Astwerk, Holzplatte, 84 x 66 x 60 cm, Foto: Elena Mastrandrea
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Carlo Bugatti (1856–1940), Stuhl, Mailand 1902, Eiche, Pergament, Messing, H. 98 cm, B. 48 cm, T. 48 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
    Carlo Bugatti (1856–1940), Stuhl, Mailand 1902, Eiche, Pergament, Messing, H. 98 cm, B. 48 cm, T. 48 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Louis C. Tiffany, Pond Lily-Lampe, New York, 1900, Ausführung um 1910, Favrile-Glas, Bronze, H. 57 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
    Louis C. Tiffany, Pond Lily-Lampe, New York, 1900, Ausführung um 1910, Favrile-Glas, Bronze, H. 57 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Elena Luksch-Makowsky (1878-1967), Adolescentia, 1903, Öl auf Leinwand, H. 172 cm, B. 79 cm, Österreichische Galerie Belvedere, Wien
    Elena Luksch-Makowsky (1878-1967), Adolescentia, 1903, Öl auf Leinwand, H. 172 cm, B. 79 cm, Österreichische Galerie Belvedere, Wien
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Eugène Feuillâtre (1870-1916), Vase „La Mer”, um 1900, Zellenschmelz-Email, Kupfer vergoldet, H. 37,5 cm, Petit Palais, Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris
    Eugène Feuillâtre (1870-1916), Vase „La Mer”, um 1900, Zellenschmelz-Email, Kupfer vergoldet, H. 37,5 cm, Petit Palais, Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Charles Rennie Mackintosh, Stuhl für den Argyle Tea Room, Glasgow, 1897, Eiche, gebeizt, H. 81 cm, B. 60 cm, T. 45 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunststammlungen, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
    Charles Rennie Mackintosh, Stuhl für den Argyle Tea Room, Glasgow, 1897, Eiche, gebeizt, H. 81 cm, B. 60 cm, T. 45 cm, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Eigentum der Stiftung für die Hamburger Kunststammlungen, © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
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