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Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram

II. Die eigene Lebenswirklichkeit
Etwa zur gleichen Zeit wie Werner Graeff beschäftigte sich auch Lucia Moholy mit der Amateurfotografie und rühmte die Entdeckung der Amateur*innen durch das Bauhaus. Sie plädierte dafür, das alltägliche Umfeld zum Gegenstand zu machen und es „jenseits der Nützlichkeit“ zu erfassen. Im Gegensatz zur „stagnierenden Berufsfotografie“ werde ein hohes ästhetisches und kreatives Potential der Fotografie freigesetzt, wenn Amateur*innen ohne Ausbildung und frei von Vorgaben gestalterisch tätig werden und die Dokumentation des eigenen Lebens mit der Lust am künstlerischen Experiment verbinden. In einem Vorspann zeigt das Kapitel mit Fotografien aus dem Bauhausalltag u.a. von Marianne Brandt (1893-1983), T. Lux Feininger oder Lotte Beese (1903–1988), dass schon lange vor Instagram Selfies und Foodies aufgenommen wurden, das soziale Miteinander in Fotografien geteilt und die eigene Identität in Bildern befragt wurden: Bauhäusler*innen hielten ihre Lebenswirklichkeit und Gruppenzugehörigkeit in Partyfotos, Porträts und Gruppenbildern auf dem Schulgelände, in den Klassen und Werkstätten fest. Dieser Teil der Ausstellung stellt in loser Chronologie die wichtigsten Themen der Amateurfotografie von der Jahrhundertwende bis zu den „neuen“ digitalen Amateur*innen anhand einzelner Beispiele vor.

Hobbies: Vor den 1920er Jahren waren Amateur*innen meist bürgerlicher Herkunft. Die Kameratechnik war kostspielig und außerdem kompliziert zu bedienen. Wohlhabende Amateur*innen wie Hendrik Hermann van den Berg (1875–1944), Kurt Hiller (1902–1966) und die frühe Amateurfotografin Corrie H. Jonker (1874–1924) fotografierten bevorzugt ihre neu aufgekommenen Freizeitaktivitäten und experimentierten mit dynamischen Schnappschüssen etwa vom Tennisspiel oder Radfahren. Ab 1890 wurden zwar kleinere, günstigere und handlichere Kameras hergestellt, aber erst in den 1920er Jahren wurde die Fotografie durch leichteres Equipment und bessere Linsen grundlegend dynamischer und für alle zugänglich.

Familie: In der eigenen Lebenswirklichkeit spielt die Familie eine wichtige Rolle und ist von Beginn an ein zentrales Thema der Amateurfotografie. Das Fotografieren mit der eigenen Kamera im Privaten erlaubt ungezwungenere Aufnahmen und individuellere Inszenierungen, als es im Porträtstudio möglich wäre. Hendrik Teding von Berkhout (1879-1969), ehemaliger Direktor der grafischen Sammlungen des Rijksmuseum Amsterdam, fertigte für seine beiden Töchter jeweils eine aufwendig gestaltete Holzschatulle mit Aufnahmen der Mädchen. Vom Pfarrer Wilhelm Bandelow (1870–1923) findet sich im MKG eine sorgfältig zusammengestellte Sammlung kleinformatiger Aufnahmen seines familiären Umfelds, die er nach Themen geordnet in Schachteln aufbewahrte. Ein Fotoalbum aus dem Umfeld des Piktorialismus zeigt die Kinder des in Hamburg lebenden Fotografen in unbeobachteten Szenen jenseits der Porträtposen des Fotostudios.

Reisen: Wie die Familie zählt auch das Reisen zu den beliebtesten Sujets der Amateurfotografie. Die Journalistin und Mutter Eva Pennink-Boelen (1911–2008) arrangierte ihre Fotografien mit Werbetexten, die sie aus Illustrierten und Life-Style-Magazinen ausschnitt, zu Stories. Der Flugkapitän Axel Herrmann (1946–2010) fotografierte seine beiden Leidenschaften: seine Frau, die als Stewardess mit ihm um die Welt flog, und seine Begeisterung für Flugzeuge und die Luftfahrt. Die Bilder erzählen vom Jetset-Leben des Paares am Hotelpool zwischen den Langstreckenflügen von Südamerika bis nach Japan. Hildegard Schneider (1928–2019), Lehrerin in Neuzelle bei Brandenburg, fotografierte in der Vorwendezeit unzählige Bilder auf ihren Reisen nach Kuba, Bulgarien, Russland, Sibirien oder Ägypten. Diese Dias zeigte sie ihren Schüler*innen in der ehemaligen DDR im Unterricht und brachte ihnen so ferne Länder nahe.

Special Interest: Die Leidenschaft von Amateur*innen für tierische Lebensgefährten gipfelt heute im Internet auf Plattformen wie Youtube, auf die User*innen etwa unzählige Katzen-Videos hochladen. Auch in der analogen Amateurfotografie spielen Tiere eine große Rolle: Die um 1930 entstandenen Fotografien des Künstlerpaares Nelly van Doesburg (1899–1975) und Theo van Doesburg (1883–1931) dienten nicht nur der Selbstinszenierung, sondern dokumentieren auch das innige Verhältnis zu ihrem geliebten Hund Bouboule. Der Nachlass der Amateurfotografin Maria Reh (geborene Hellmann, gestorben 1979) umfasst hunderte Fotografien von ihrer Schäferhündin Dixie, die sie zwischen Mitte der 1950er und Mitte der 1960er Jahre fotografierte.
  
Identität und Körper: Die Fotografie als Zeugin der Identitätsfindung und Selbstvergewisserung ist mit dem Selfie omnipräsent geworden, war jedoch von Beginn an ein wichtiger Aspekt im privaten Gebrauch der Fotografie. Der offen homosexuell lebende Albrecht Becker (1906–2002) begann in den 1930er Jahren, seinen Körper zu tätowieren und mit Piercings zu verändern. Über Jahrzehnte hinweg dokumentierte er sein „making of himself“ und vermachte seinen fotografischen Vorlass dem Schwulen Museum in Berlin. Die Fotografien einer jungen Amerikanerin, die zwischen 1980 und 1990 ihre Outfits in sich wiederholenden Posen festhält, erinnern unweigerlich an die Praktiken der Selbstdarstellung, wie sie heute aus den sozialen Netzwerken bekannt sind.






  • 03.10.2019 - 12.01.2020
    Ausstellung »

    ÖFFNUNGSZEITEN
    Dienstag bis Sonntag: 10-18 Uhr
    Donnerstag: 10-21 Uhr
    Donnerstag an oder vor Feiertagen: 10-18 Uhr
    Kassenschluss jeweils 30 Minuten vor Schließung des Museums.
    GESCHLOSSEN
    montags, 1. Mai, Heiligabend und Silvester
    GEÖFFNET
    Gründonnerstag, Karfreitag, Ostersonntag, Ostermontag, Himmelfahrt, Pfingstsonntag,
    Pfingstmontag, Tag der deutschen Einheit und sonstige Feiertage: 10-18 Uhr
    Neujahr, 1. und 2. Weihnachtstag: 12-18 Uhr
    GERD BUCERIUS BIBLIOTHEK
    Dienstag - Freitag: 11-17.30 Uhr
    Donnerstag bis 19 Uhr

    Die Bibliothek bleibt am 27. und 28. Dezember 2018 geschlossen.
    DESTILLE
    Dienstag bis Sonntag 11-17 Uhr (Buffet bis 16 Uhr)
    Donnerstag bis 20 Uhr (Buffet bis 19 Uhr), im Juni, Juli und August nur bis 17 Uhr (Buffet bis 16 Uhr)
    Über Weihnachten und Neujahr ist die Destille geöffnet.



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  • Foto: Carl Friedrich Bandelow (1870–1923), Selbstbildnis, 1902, Silbergelatinepapier, 15,6 x 17 cm, Foto: © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
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    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Axel Herrmann (1946‒2010), Continental Breakfast, 1970er-Jahre, Kleinbilddias, Daniel Herrmann, © Daniel Herrmann
    Axel Herrmann (1946‒2010), Continental Breakfast, 1970er-Jahre, Kleinbilddias, Daniel Herrmann, © Daniel Herrmann
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Unbekannt, Vier Studierende auf dem Dach des Bauhauses in Dessau, 1927/28, Silbergelatinepapier, 6 x 10,5 cm, Galerie Kicken Berlin, © unbekannt
    Unbekannt, Vier Studierende auf dem Dach des Bauhauses in Dessau, 1927/28, Silbergelatinepapier, 6 x 10,5 cm, Galerie Kicken Berlin, © unbekannt
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Axel Herrmann (1946‒2010), Continental Breakfast, 1970er-Jahre, Kleinbilddias, Daniel Herrmann, © Daniel Herrmann
    Axel Herrmann (1946‒2010), Continental Breakfast, 1970er-Jahre, Kleinbilddias, Daniel Herrmann, © Daniel Herrmann
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Unbekannt, Woman Displaying Various Outfits, 1980/90er-Jahre, Silbergelatinepapier, je 12,7 x 8,9 cm, The Walther Collection, New York/Neu-Ulm, © Mit freundlicher Genehmigung von The Walther Collection
    Unbekannt, Woman Displaying Various Outfits, 1980/90er-Jahre, Silbergelatinepapier, je 12,7 x 8,9 cm, The Walther Collection, New York/Neu-Ulm, © Mit freundlicher Genehmigung von The Walther Collection
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • Irene Bayer-Hecht (1898‒1991), Makkaroni, vor 1928, Silbergelatinepapier, 12,4 x 16,7 cm, Museum Folkwang, Essen, © unbekannt
    Irene Bayer-Hecht (1898‒1991), Makkaroni, vor 1928, Silbergelatinepapier, 12,4 x 16,7 cm, Museum Folkwang, Essen, © unbekannt
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
  • 	 László Moholy-Nagy (1895–1946), Oskar Schlemmer in Ascona, 1926/27, Silbergelatinepapier, 23,5 x 17,5 cm, Berlinische Galerie – Museum für Moderne Kunst, Public Domain, Foto: Anja Elisabeth Witte
    László Moholy-Nagy (1895–1946), Oskar Schlemmer in Ascona, 1926/27, Silbergelatinepapier, 23,5 x 17,5 cm, Berlinische Galerie – Museum für Moderne Kunst, Public Domain, Foto: Anja Elisabeth Witte
    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg