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Porträt- und Landschaftsmaler.

Erste deutsche Richard Gerstl-Retrospektive in Frankfurt

Porträt- und Landschaftsmaler.

Gerstls zentrales Interesse galt dem Porträt, insbesondere dem Selbstporträt, das ihm als Mittel zur Selbsterforschung diente. Das erste, noch stark dem Symbolismus verhaftete Selbstbildnis als Halbakt (1902/04) nimmt im Werk des Österreichers eine Sonderstellung ein. Es entstand nur ein Jahr, nachdem er die Akademie verließ und sein Malereistudium unterbrach. Es ist ein frühes selbstbewusstes Statement als Künstlerpersönlichkeit. Als kunsthistorisch hoch gebildeter Maler spielte er mit zahlreichen Versatzstücken einer Kunsttradition, die der 19-jährige längst hinter sich gelassen hatte. In späteren Selbstporträts stellt sich der Maler in bestimmten Rollen dar: als Dandy in Selbstbildnis vor blaugrünem Hintergrund (Frühling/Sommer 1907), als klassischer Maler in Selbstbildnis vor einem Ofen (Winter 1906/07), unsicher wirkend in Selbstbildnis mit Palette (Winter 1906/07) und wieder provozierend in Selbstbildnis, lachend (Sommer/Herbst 1907). In seinem letzten Selbstporträt, dem Selbstbildnis als Akt (September 1908), malte sich Gerstl als erster Künstler seit Albrecht Dürer (1471–1528) komplett nackt und brachte zugleich seinen malerisch freien Stil der letzten Werkphase zu einem Höhepunkt.

Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Stile, Formate, Farben und Kompositionen erzeugen Gerstls Werke bis heute eine eindringliche und zeitlose Wirkung – wie etwa das Bildnis Die Schwestern Karoline und Pauline Fey (März/April 1905). Fast surreal mutet die Erscheinung der beiden Frauen an, die ohne Hände, Füße oder Körper, ohne wirklichen Raum oder Hintergrund, mit einem eigenartigem Gesichtsausdruck und riesigen schwarzen Pupillen eine seltsame, traumhafte Wirkung erzeugen. Die Komposition erinnert an Werke von Édouard Manet (1832–1883). Neben dem französischen Impressionisten orientierte sich Gerstl auch an anderen Leitfiguren der internationalen Moderne, vor allem an Edvard Munch (1863–1944), Ferdinand Hodler (1853–1918) oder Vincent van Gogh (1853–1890), die zu seiner Zeit in Wien ausgestellt wurden. Der Österreicher erschöpfte sich allerdings nicht in der Paraphrase, sondern entwickelte vielmehr eigene originelle Neuinterpretationen.

1906 lernte Gerstl den Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951) und dessen Frau Mathilde (1877–1923) kennen, denen er privaten Malunterricht erteilte. Mathilde Schönberg, die spätere Geliebte Gerstls, ist neben den Selbstporträts das häufigste Motiv in seinem Œuvre. Im Gegensatz zu seinen direkten und lebendig gemalten Selbstbildnissen begegnet der Künstler Mathilde in seinen Bildern stets zurückhaltend, leidenschaftslos und passiv. Zwei Jahre kreiste Gerstl stilistisch und thematisch um das Mathilde-Motiv – von der steifen Darstellung Mathildes und ihrer Tochter in Mutter und Tochter (Ende 1906) über die sehr eigenständige Interpretation der Ornamentik der Wiener Werkstätte in Bildnis der Mathilde Schönberg im Atelier (Frühling 1908) bis zu der deutlichen Van-Gogh-Rezeption in Mathilde Schönberg im Garten (Juli 1908). Sein letztes Gemälde Sitzender weiblicher Akt (Herbst 1908) zeigt die nackte Mathilde in seinem Atelier. Das expressiv-abstrakte Bild entstand vermutlich wenige Tage vor seinem Tod und markiert einen radikalen Schlusspunkt im Werk des Künstlers: Nachdem Mathilde zu ihrem Ehemann zurückgekehrt, und es zum Bruch zwischen Gerstl und dem Schönberg-Kreis gekommen war, erstach und erhängte sich der erst 25- jährige Künstler am 4. November 1908 ohne Vorwarnung in seinem Atelier.

Mehr als ein Drittel der überlieferten Werke Gerstls sind Landschaften. Die meisten entstanden 1907 am Traunsee in Gmunden, wo der Künstler auf Einladung Schönbergs mit dessen Schülern und Freunden den Sommer verbrachte. Dort sind auch die beiden Bildnisse Die Familie Schönberg und Gruppenbildnis mit Schönberg (beide Ende Juli 1908) entstanden, die der Künstler bei einem zweiten Aufenthalt – ein Jahr später – anfertigte. Beide Werke zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus. Er malte sie wahrscheinlich mit „meterlangen Pinseln“. Ritzungen auf der aufgerauten Oberfläche und Spuren des Pinselstiels verweisen auf eine gestische Aktionskunst. Besonders das Gruppenbildnis mit Schönberg kann als Vorläufer des österreichischen Expressionismus gelten. Gerstl treibt in diesem Gemälde seine das Stoffliche auflösende, entmaterialisierende Maltechnik zum Äußersten. Ungeachtet seiner wilden, schwungvollen, rauen Pinselschrift bleiben Körper und Kleidung dennoch gegenständlich und die in der Nahsicht verzerrten und ununterscheidbaren Gesichter der Dargestellten werden erkennbar, wenn der Betrachter zurücktritt.

Vom 29. Juni bis 25. September 2017 ist die Ausstellung „Richard Gerstl Retrospektive“ in der Neuen Galerie in New York zu sehen. Es ist die erste amerikanische Schau.

KATALOG Richard Gerstl Retrospektive Herausgegeben von Ingrid Pfeiffer und Jill Lloyd in Zusammenarbeit mit Raymond Coffer. Mit einem Vorwort von Philipp Demandt, Essays von Raymond Coffer, Jane Kallir, Diethard Leopold, Jill Lloyd mit Karol Winiarcyk und Ingrid Pfeiffer sowie einem Werkverzeichnis von Raymond Coffer und der Biografie des Künstlers von Maria Sitte. Deutsche Ausgabe, 23,5 x 28 cm, gebunden, 192 Seiten, ca. 130 Abbildungen, Preis: 32 € (Schirn), 45 € (Buchhandel).






  • 24.02.2017 - 14.05.2017
    Ausstellung »
    Schirn Kunsthalle Frankfurt »

    ÖFFNUNGSZEITEN
    DIENS­TAG, FREI­TAG – SONN­TAG 10 – 19 UHR
    MITT­WOCH, DONNERS­TAG 10 – 22 UHR

    ÖFFNUNGSZEITEN MINISCHIRN
    DIENS­TAG – SONN­TAG 10 – 18 UHR

    RICHARD GERSTL
      9 € REGU­LÄR
      7 € ERMÄS­SIGT

     



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  • Ausstellungsansicht der Richard Gerstl-Retrospektive
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    Schirn Kunsthalle Frankfurt
  • RICHARD GERSTL, BILDNIS HENRYKA COHN, 1908, ÖL AUF LEINWAND, 147,9 X 111,9 CM, FOTO: © LEOPOLD MUSEUM, WIEN
    RICHARD GERSTL, BILDNIS HENRYKA COHN, 1908, ÖL AUF LEINWAND, 147,9 X 111,9 CM, FOTO: © LEOPOLD MUSEUM, WIEN
    Schirn Kunsthalle Frankfurt