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KUNST ⇆ HANDWERK Zwischen Tradition, Diskurs und Technologien

Künstler*innen der Ausstellung: Azra Akšamija (geboren 1976 in Sarajevo (BA), lebt und arbeitet in Graz (AT) und New York (US)), Olivier Guesselé-Garai (geboren 1976 in Paris (FR), lebt und arbeitet in Berlin (DE)), Plamen Dejanoff (geboren 1970 in Sofia (BG), lebt und arbeitet in Wien (AT)), Olaf Holzapfel (geboren 1967 in Dresden (DE), lebt und arbeitet in Berlin (DE)), Antje Majewski (geboren 1968 in Marl (DE), lebt und arbeitet in Berlin (DE)), Jorge Pardo (geboren 1963 in Havanna (CU), lebt und arbeitet in New York (US) und Mérida (MX)), Slavs and Tatars (gegründet 2006, leben und arbeiten in Berlin (DE)), Haegue Yang (geboren 1971 in Seoul (KR), lebt und arbeitet in Berlin (DE) und Seoul (KR)), und Johannes Schweiger (geboren 1973 in Schladming (AT), lebt und arbeitet in Wien (AT))

In den letzten Jahren ist das Interesse zeitgenössischer Künstler*innen am Material, an (kunst)handwerklichen Verfahren, am Experimentieren mit Materialien und Techniken auffällig gewachsen. Die internationalen Künstler*innen der Ausstellung »KUNST ⇆ HANDWERK. Zwischen Tradition, Diskurs und Technologien« arbeiten mit Materialen wie Holz, Glas, Textil oder Stroh und setzten Fertigkeiten von Knüpfen bis Schnitzen ein. Die Werke der Ausstellung – darunter Skulpturen, Textilien und großräumige Installationen – beziehen sich auf kunsthandwerkliche, volkstümliche, künstlerische Traditionen ebenso wie auf zeitgenössische und technologische Diskurse. Sie stehen im Kontext von aktuellen Themen einer globalisierten Welt: Fragen nach Zugehörigkeit, Migration und technologische Entwicklungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Auflösung von Zuschreibungen, Hierarchien und Grenzziehungen. Die umfassende Ausstellung mit mehreren neuen Arbeiten ist vom 2. Oktober 2020 bis 10. Januar 2021 in der Kestner Gesellschaft zu sehen.

Ausgehend von einem großen Interesse an Materialien und handwerklichen Techniken widmen sich die Künstler*innen den Kategorisierungen, Hierarchien und Vorurteilen, die den unterschiedlichen Materialien und Verarbeitungsformen zugeschrieben werden. Warum wirken hölzerne Schnitztüren heute altmodisch? Plamen Dejanoff rückt diese im Kontext seiner Stiftung in einen deutlich zeitgenössischen Zusammenhang. Johannes Schweiger widmet sich in seinen Arbeiten den Geschlechterzuschreibungen von Textilien und fragt nach der Rolle von Künstlerinnen, die früher eher dem Bereich des Kunsthandwerks bzw. Kunstgewerbes zugeordnet wurden. Dies folgte der althergebrachten Vorstellung einer autonom konzipierten Kunst als Ausdruck (höherwertiger) geistiger Prozesse und einer angewandten Kunst als deren (minderwertige) Übersetzung. Wie bewerten wir heute die Arbeiten – etwa kamerunischer Kunsthandwerker*innen? Sind die von ihnen hergestellten Schamschürzen, inzwischen begehrte Sammlerstücke, gleichwertig mit abstrakter, westlich-europäischer Kunst zu sehen? Olivier Guesselé-Garai und Antje Majewski formulieren in ihren Arbeiten Kritik an einer Kunstgeschichtsschreibung, die »viele Künstler*innen vergisst, visuelle Kunst kategorisiert und territorial subsumiert, so wie man sie haben wollte – auch in Bezug auf Außereuropa.« Ihr Beitrag wendet sich gegen trennende Kategorisierungen im Verhältnis der Kulturen zueinander. Das trifft auch auf Slavs and Tatars’, Haegue Yangs und Azra Akšamijas Arbeiten zu.

Die Künstler*innen plädieren mit ihren Arbeiten für Zwischenräume, Übergangszonen, opake Räume und zeigen sich gegenüber Kategorisierungen, Binärismen und Oppositionen skeptisch: In der Arbeit von Olaf Holzapfel wird die klassische Dichotomie von Natur/Kultur herausgefordert, in dem er den weitreichenden Einfluss der physischen Eigenschaften des Materials Holz auf unsere sozialen Räume untersucht. Jorge Pardo stellte eine Auffassung von Handwerk, die mit Handarbeit verbunden ist, zur Disposition: der Künstler arbeitet selbstverständlich mit neuen Technologien wie CNC-Fräsen, -Stanzen und Laser.

Die Künstler*innen der Ausstellung führen in ihren Arbeiten diversen Materialien und Verfahren zusammen. Sie verbinden tradiertes oder lokales Wissen mit anderen Kulturen und Zeiten, mit moderner und zeitgenössischer Kunst. Kultur wird dabei als Fluss von vielfältigen, synchron und diachron gespeisten und miteinander verknüpften Einflüssen und Elementen verstanden, als ein Prozess, in dem sich lokale Formen des Wissens und globaler Wissenstransfer verschränken. Die Bedeutung und Wertschätzung des Handwerks als ein wesentlicher Bestandteil kultureller Identität und vor allem das Gemeinschaft stiftende Potenzial von kunsthandwerklichen Traditionen wird dabei mit den sozialen und ökonomischen Verhältnissen in einer globalisierten Welt zusammengedacht.

Die Ausstellung reagiert damit auch auf das gestiegene gesellschaftliche Interesse am Handwerk, das sich in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt hat. Zum einen findet sich ein neokonservatives Qualitätsbewusstsein und damit einhergehend der Konsum von gehobenen handwerklichen Gütern, zum anderen haben DIY-Bewegungen an Fahrt aufgenommen. Und nicht zuletzt kann man politische Einverleibungen von Handwerk in einer Reihe mit Begriffen wie Heimat, Volk, Volkskunst und Tradition beobachten. Ausgehend von ihrer Beschäftigung mit Materialien und handwerklichen Techniken fordern die Künstler*innen eben diese kulturellen Zuordnungen, Identitätskonzepte oder Kategorisierungen heraus und zeigen in ihren Arbeiten, wie sehr sich lokale Identifikationen und globale Entwicklungen längst ineinander geschoben haben. Auffassungen von kohärenten, in sich geschlossenen Kulturen und Identitäten werden zugunsten von Uneindeutigkeit und Hybridität unterwandert.






  • 02.10.2020 - 10.01.2021
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    kestnergesellschaft »

    Öffnungszeiten/Eintrittspreise:
    Donnerstag-Sonntag 14.00-19.00 Uhr
    Eintritt 3€ / Ermäßigt 1€ / Mitglieder frei



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