MAK
GERTIE FRÖHLICH Schattenpionierin
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Ausstellung13.09.2023 - 03.03.2024MAK Wien »
Kaum eine Persönlichkeit stand so im Brennpunkt der Aktivitäten der Wiener Avantgarden wie Gertie Fröhlich (1930–2020). Während ihres Studiumsan der Akademie der bildenden Künste knüpfte sie Kontakte zu jungen Kunstschaffenden aller Stilrichtungen, wurde im Schatten Otto Mauers zum Moving Spirit der Galerie St.Stephan und ihre Wohnungwar bald interdisziplinärer Treffpunkt für viele Kreative ihrer Zeit. Gertie Fröhlichhinterließ ein umfangreiches Œuvre, das sich über verschiedenste Disziplinenhinweg entfaltete. Das MAK widmet ihrdie erste umfassende Retrospektive und taucht ein in ihr„Gesamtkunstwerk“alsKünstlerin, Eat-Art-Aktivistin, Grafikerin und Netzwerkerin der Wiener Nachkriegsmoderne.
In fünf Kapitelngibt die Ausstellung Einblickin wesentlicheStationen und Themen ihres Lebensund zeigt die gesamte Bandbreite ihrer Werke aus Papier, LeinwandundTextil –von den Plakatentwürfen über die Malereien bis hin zu ihren Wandteppichen.Der Großteil der Exponate stammt aus dem Estate Gertie Fröhlich, ergänzt um zahlreiche private und öffentlicheLeihgaben.
In ihren Bildern erzählt Gertie Fröhlich ihre eigene Geschichte. Aufgewachsen in einem streng katholischen, großbürgerlichen Elternhaus in der Slowakei, ist die Flucht am Ende des Zweiten Weltkrieges nach Oberösterreich das einschneidende Erlebnis ihrer frühen Jugend, dassie ein Leben lang begleitenwird –sei es in ihrem rastlosen Lebenswandel oder ihren künstlerischen Arbeiten. Ihre umfassende Bildung in Geschichte und Klassizismusermöglichtihr, durchGleichnisse Mythen und sogar die modernen Märchen Hollywoods aus der Sicht der weiblichen Protagonistin neu zu erzählen.
Fröhlich muss ihren Wunsch,Künstlerin zu sein, gegen den Willen des Vaters durchsetzen. Sie studiert zunächst an derKunstgewerbeschule Graz bei Rudolf Szyszkowitzund wechselt dann nach Wien zum Studium an der Akademie der bildenden Künste bei Albert Paris Gütersloh, dem Begründer des Phantastischen Realismus.Beide Professoren bestärken sie in ihrem Festhalten an der gegenständlichen Kunst.
Im Kreise ihrer Kolleg*innenverfolgt Gertie Fröhlich ihre künstlerische Linie, die sich nicht dendamals aktuellen KunstrichtungenwieAbstraktion oderPop Art unterwirft.Sie entwickelt ihren eigenständigen Stil, der von Mythologie, Geschichte, Volkskunst und handwerklicher Ikonografie inspiriertist.Durch ihre poetische und allegorische Bildsprache schuf sie eine neue Art metaphysischer Malerei–um „das zu malen, was nicht gesehen werden kann“. (Giorgio de Chirico)
Gertie Fröhlich erkennt jedoch die Qualität ihrer Künstlerkollegenund schöpft alleMöglichkeiten aus, diese zu fördern. Als Otto Kallirs Neue Galerie in der Grünangergasse (Wien I.) zum Verkauf steht, wird ihr der Wunsch,selbst die Galerie zu führen,verwehrt. Daraufhin vermittelt sie den Kontakt an Otto Mauer, der die Galerie St. Stephan 1954 eröffnet. Sie fungiert als Kuratorin und Programmgestalterin der ersten Jahre unter der Bezeichnung Sekretärin Otto Mauers. U.a. stellt siein der Weihnachtsaustellung 1955 Markus Prachensky, Arnulf Rainer, Josef Mikl und Wolfgang Holleghaerstmals gemeinsam aus, die zu den wichtigsten Protagonisten der österreichischen Nachkriegsmoderneavancieren.
1956 bezieht Fröhlich ihre legendäre Wohnung –gleichzeitig Atelier –in der Sonnenfelsgasse 11.Hierentstehen die Ideen, die in der Galerie St. Stephan künstlerischeKarrieren ermöglichen.Sie öffnetdie Türen ihrer Wohnung für ein interdisziplinäresWho’s Who der österreichischen Nachkriegs-Avantgarde, wo sich unzählige Freund*innen und Fröhlichs jeweilige Lebenspartner Markus Prachensky, Peter Kubelka und Al Hansen die Klinke in die Hand geben. Zu den Gästen zählenu.a. Raimund Abraham, Friedrich Achleitner, Barbara Coudenhove-Kalergi, Christine de Grancy, Christl Dertnig, VALIE EXPORT, Elfriede Gerstl, André Heller, Wolfgang Hollegha, Hans Hollein, Wilhelm Holzbauer, Kurt Kalb, Martin Kippenberger, Kurt Kocherscheidt, Kiki Kogelnik, Friedrich Kurrent, La Mamma Group, Maria Lassnig, Friederike Mayröcker, Josef Mikl, Hermann Nitsch, Evelyn Oswald, Max Peintner, Walter Pichler, Reinhold Priessnitz, Helmut Qualtinger, Arnulf Rainer, Rudolf Schönwald, Karl Schwarzenberg, Oswald und Ingrid Wiener oder Michel Würthle.
Ihr pluralistischer Ansatz und das großeBildrepertoire, gepaart mit geschickter zeichnerischer Kunst, stellen sicher, dass Gertie Fröhlich als alleinige Gestalterin über Jahrzehntedas Branding des von Peter Kubelka und Peter Konlechner gegründeten ÖsterreichischenFilmmuseums prägt. Sie entwickelteine international anerkannte Serie preisgekrönter Plakate und entwirftdas markante Logo, den Zyphius. Ihre individuelle, fantastische Bildsprache machtnicht nur das Filmmuseum, sondern auch die Künstlerin Gertie Fröhlich über die Grenzen bekannt.
André Heller lädt sie 1987 mit über 30 anderen Künstler*innen, darunter Jean-Michel Basquiat, Keith Haring, ihr Freund Roy Lichtenstein und Sonia Delaunay,zur Teilnahme an seinem multidisziplinären Künstlerpark LUNA LUNAnach Hamburg ein.Dort zeigt Fröhlich performative Kunstin einem mythologisch gestalteten, interaktivenStand und wird mit ihrenessbarenEat-Art-Lebkuchenbis in die USAbekannt und in den Medien gefeiert.
Ihre größten Auftragsarbeiten sind die von Wilhelm Holzbauer vermittelten textilen Wandbehänge für das Bildungshaus St. Virgil in Salzburg. In diesen gewaltigen Werken hebt siedas Kunsthandwerk auf virtuose Weise hervor, sie schafft eine Neuerzählung der Heiligen Schrift unter Nutzung mythischer Figuren, bevölkert von Frauen, Naturelementen und Tieren.Es ist die haptische Qualität, mit der Fröhlich alle Wahrnehmungsebenen erobert: Die Betrachter*innenstehen andächtig vor den 5 × 6 Meter großen textilen Werken.
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